La Paz - die Stadt der Schuhputzer
Das Hauptaugenmerk meines zweiten Besuches in La Paz lag auf der Arbeit der Nichtregierungsorganisation "Vamos Juntos" und damit auf der Arbeit der rund 1000 Schuhputzer, die in La Paz ihre Dienste anbieten. Die Schuhputzer leben aufgrund der geringen Lebenshaltungskosten in der suburbanen Stadt "El Alto" und pendeln am Morgen nach La Paz, wo sie für ein bis zwei Bolivianos (ca. 12-24ct) den Schuhen ihrer Kunden zu Hochglanz verhelfen. Das Ziel von Vamos Juntos (www.vamosjuntos.de) ist es, dieser marginalisierten Gesellschaftsschicht einerseits durch direkte Unterstützung eine bessere Lebenssituation zu ermöglichen und andererseits ihr Ansehen in der Gesellschaft aufzuwerten. Die Volontäre stellen dabei den Kontakt zwischen der administrativen Ebene und den Schuhputzern her (Informationen über Workshops, Neuerungen etc.), "sparen" mit ihren Schuhputzern (Vamos Juntos fungiert als uneigennützige Bank), geben Deutschunterricht, führen Hausbesuche zur Bedürftigkeitsfeststellung durch und einiges mehr. Dieses ganzheitliche und im Großteil seiner Gesichtspunkte optimale Projekt hat meinen Glauben an Entwicklungsarbeit bestärkt und die ausgezeichnete Arbeit der Volontäre mich den Glauben an die Sinnhaftigkeit des "weltwärts"-Programmes wiederfinden lassen.
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Schuhputzen, um sich besser in die Schuhputzer hineinversetzen zu koennen |
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Touristische Stadtführung mit den Volontären von Vamos Juntos - Schuhputzer integriert |
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Schuhputzergrafiti mit der typischen Vermummung |
Tiwanaku - Ruinen eines Vorinkareiches
Eine Autostunde von La Paz entfernt ist die archäologische Ausgrabungsstätte Tiwanaku gelegen, wo die Ruinen einer über 3000 Jahre alten Hochkultur im Hochland der Anden besichtigt werden können. Die sesshafte Bevölkerung von Tiwanaku ernährte sich von dem Anbau von Kartoffeln und Kinoa sowie der Zucht von Llamas, bewegte zum Bau ihrer Kultstätten tonnenschwere Steinblöcke über etliche Kilometer, bearbeitete diese mit einer bis heute rätselhaften Präzision und besaß erstaunliche astronomische Kenntnisse, die bis zur Aufstellung eines Kalenders reichten.
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2500 Jahre alter Monolith mit zeremoniellen Werkzeugen in den Händen |
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La Puerta del Sol - Das Sonnentor mit eingraviertem Kalender |
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Die Kirche von Tiwanaku: Eine Mischung aus christlichem Glauben und Naturreligion |
Huayna Potosi - eine Grenzerfahrung der besonderen Art
Tag 1: Nach zwei Stunden Fahrt kommen wir auf dem ersten Höhenlager auf rund 4600m ü.n.N. an. Das Atmen fällt dank der einwöchigen Aklimatisierungsphase in La Paz (3800m) noch einigermaßen leicht, nach kurzer Zeit stellen sich allerdings maternde Kopfschmerzen ein. Nach Bezug der eiskalten Schlafsäle werden wir von den bolivianischen Bergführern mit der Ausrüstung vertraut gemacht und gehen danach direkt zu einer vierstündige Übungseinheit über, während derer wir das Klettern am Gletscher und wichtige Verhaltensweisen beim Bergsteigen kennenlernen. Nach der Rückkehr ist uns die Erschöpfung ins Gesicht geschrieben.
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Das erste Höhenlager |
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Ausrüstungsüberprüfung und -anprobe |
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Erste Übung: Eisklettern |
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Die Erschöpfung im Lager |
Tag 2: Der fünfstündige Aufstieg ins zweite Höhenlager (5300m) mit 15Kg Gepäck treibt einige Gruppenmitglieder mit Steigungen von bis zu 40% bereits an ihre physische Belastungsgrenze, belohnt allerdings mit beeindurckenden Ausblicken und einer mir bislang unbekannten Welt aus Gletschern, bizarren und zugleich ästetischen Formen und meterlangen Eiszapfen. Meine rasenden Kopfschmerzen und die Atemprobleme beim bloßen Liegen im Schlafsack bestätigen mir allerdings rasch, dass der Sauerstoffgehlat der Luft bei dieser Höhe weniger als die Hälfe des Wertes auf Meeresniveau beträgt. Um sechs Uhr schließt die Tür des Höhenlagers und beginnt eine der kürzesten Nächte meines Lebens.
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Staudamm mit Elektroturbinen und Frischwassergewinnung |
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Der wahre König des Huayna Potosi |
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"Das verfluchte Gepäck" |
Tag 3: Nach anderthalb Stunden Schlaf und kopfschmerz- sowie aufregungsbedingtem Rumgewälze beginnt der allesentscheidende Tag des Gipfelsturmes um ein Uhr nachts. Um zwei Uhr geht es in voller Ausrüstung (von Eispickel und Steigeisen bis Kopflampe) und in angeleinten Dreierteams (ein Bergführer mit zwei Anfängern) los in Richtung Gipfel. In der völligen Dunkelheit glitzern die Schneeflocken und Eiskristalle unter uns im Licht der Kopflampe ebenso wie der Sternenhimmel mit seiner Milchstraße über uns und die Lichter des schlummernden La Paz in der Ferne. Jeder Schritt wird auf dieser Höhe und bei Steilwänden mit bis zu 55% Steigung zu einer Überwindung - sowohl körperlich als auch geistig -, der mein Seilschaftsgenosse bei 5700 Metern nicht mehr stand hält und mit dem Bergführer den Abstieg beginnt. Ich schließe mich einer nahen Seilschaft (jedoch einer anderen Bergsteigergesellschaft) an, von der ich allerdings nach 20 Minuten gemeinsamen Marsches in das Ungewisse der Dunkelheit entlassen werde (um entgegen jeglicher Regeln zur vorangehenden Seilschaft meiner Gesellschaft aufzuschließen). So schleppe ich mich für eine halbe Stunde alleine auf 5800 Metern, den Weg im Dunkeln durch die zugewehten Spuren meiner Vorgänger erahnend, durch diese lebensfeindliche Eiswüste. Der Verzweiflung nah, verleiht mir diese (ein Umkehren ist alleine auch nicht möglich) sowie ein im Nachhinein als gefährlich zu beurteilender Ehrgeiz die Kraft aufzuschliessen. Durch das hohe Tempo erschöpft aber unvorstellbar erleichtert sehe ich endlich die Lichter meiner erstaunten Kameraden und kann mein Glück kaum fassen, als ich angeleint in ihrer Mitte stehe. Der technischste und gefährlichste Abschnitt steht uns jedoch noch bevor: Die letzten 88 Höhenmeter müssen mittels eines handbreiten Eiskamms bewältigt werden, auf dessen Seiten es jeweils über 1000 Meter in die Tiefe geht - hier sind volle Konzentration und Präzision bei über 6000m Höhe gefordert. Mir wird klar, warum sich die Bergführer bitter über die Vermarktung des touristischten Berges Boliviens als einfach und ungefährlich beklagen (von anfangs acht Teilnehmer haben fünf den Gipfel nicht erreicht). Nach viereinhalb Stunden Kampf kommen wir um 6:30 - rechtzeitig zum Sonnenaufgang - auf dem Gipfel und damit 6088 Höhenmetern an. Nebst eines ungekannt starken Glücksgefühles aufgrund des Erfolges und eines grandiosen Ausblickes über den Titikakasee, das Nebelmeer der Yungas, das erwachende La Paz sowie die majästetischen Berge der Andenkette, erfüllt das atemberaubende Gefühl mein Herz, näher an etwas Übernatürlichem zu sein als je zuvor - nicht etwa durch die Nähe zum Himmel, nein, sondern durch das Gefühl der Unbedeutsamkeit des eigenen Seins im Angesicht dieser unveränderlich scheinenden riesigen Welt mit ihrer eigenen Sprache, überschattet von der Einsicht, dass diese ebenso wie wir den selben Grundgesetzen unterliegt und wir eines Tages in ihr aufgehen werden so wie sie in uns. Nach 25 Minuten beginnen wir mit tauben Zehen und Fingern vorsichtig aber zügig den Abstieg, weil die Strahlen der mittlerweile aufgegangenen Sonne nicht nur die Lawinengefahr erhöhen sondern auch die Trittfestigkeit des Schnees und Eises deutlich mindern. Der Abstieg ohne längere Pausen bis zum ersten Höhenlager auf 5600 Metern mit vollem Rucksack und ohne Nahrungsaufnahme innerhalb eines Zeitraumes von 12 Stunden ist zwar alles andere als angenehm, im Vergleich zum dem Vorherigen jedoch mit den Worten eines großen Mannes eher als "Nonnenhockey" zu bezeichnen.
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Der schockgefrostete Wanderrucksack |
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Angekommen auf 6088m |
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Das Nebelmeer über den Yungas |
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Auf dem Weg zur Todesstrasse: Auf der Hochebene besiedeln unzählige Llamas die Strecke |
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Die Abgründe, die der Todesstrasse ihren Namen geben |
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Die Drehkreuz in El Alto - der Kontrast schlechthin zum verschlafenen Sucre |
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Ein Passfoto mein Herr? |
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Strassenblockaden und Reizgas gegen demonstrierende Minenarbeiter, die für höhere Pensionen mit Dynamit um sich werfen |
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